Scharf und greifbar: Die Möglichkeiten der Verpackung in Zeiten der digitalen Transformation
Auf dem Deutschen Verpackungskongress Anfang März in Berlin diskutierten 140 Entscheider und Geschäftsführer aus der Wertschöpfungskette der Verpackung den digitalen Wandel und seine Folgen für die Branche. Der vom Deutschen Verpackungsinstitut (dvi) veranstaltete Netzwerkgipfel schärfte den Blick für die Möglichkeiten und zeigte die Verpackung als begreifbaren Teil einer sich entmaterialisierenden Welt. Darüber hinaus bot der Kongress Fallbeispiele bester Verpackungen aus den Bereichen Lebensmittel und Pharma sowie spannende Einblicke in Teambuilding und Arbeitstechniken aus dem Kunstbereich.
»Wir wollen uns so handfest wie möglich mit dem Thema beschäftigen. Auch Verpackungen sind schließlich etwas, das wir anpacken und in den Händen halten.« Mit diesen Worten eröffnete Normen Odenthal als Moderator den 11. Verpackungskongress, der sich dieses Jahr dem Thema »Digital Business« widmete. Damit war die Zugrichtung des »Netzwerkgipfels« vorgegeben. »Die digitale Transformation unserer Gesellschaft und Arbeitswelt erscheint uns oft vage und wenig fassbar. Dabei sind die Veränderungen auch für unser Business real und bedeutsam, ob wir sie nun persönlich befürworten oder nicht«, sagt Winfried Batzke, Geschäftsführer des Deutschen Verpackungsinstituts (dvi). »Auf dem Kongress haben wir den Blick für die Möglichkeiten von Verpackungen im digitalen Wandlungsprozess der Gegenwart geschärft. Die Verpackung ist aus digitalem Blickwinkel nicht nur eine nützliches Tool und eine mächtige Informationsplattform, sondern eben auch der be-greif-bare Teil einer sich entmaterialisierenden Welt.«
Haptik – The next big thing
Wie die Verpackung als multisensorischer Markenbotschafter funktioniert und warum der haptische Aspekt auch unter der Ägide des digitalen Wandels zur Königsdisziplin wird, zeigte zum Start des Kongresses Olaf Hartmann (geschäftsführender Gesellschafter, Multisense Institut). »Zukunft braucht Herkunft. Der digitale Wandel wird viel verändern, aber eines nicht: Die Wahrnehmung des Menschen. Aber wie nimmt der Mensch wahr, wie trifft er Kaufentscheidungen, wie schätzt er wert?« Für Hartmann ist die Verpackung das Tor zur Realität der Kunden und macht eine Marke sprichwörtlich begreifbar. »Berühren ist ein menschliches Urbedürfnis und ohne Berührung fehlt etwas Entscheidendes, denn die Haptik ist der entscheidende Sinn für die Wahrnehmung von Wahrheit und Wert.« Auch Virtual Reality oder Augmented Reality benötigten ein Interface und erzeugten körperliche Reaktionen. Für Olaf Hartmann ist es deshalb auch kein Zufall, dass wir unsere Smartphones mit streichelnden Bewegungen bedienen. Dahinter stecke viel Wissen um die Bedeutung der Haptik – als the next big thing.
Ideen und Best Practice
Wie können wir uns von unseren Wettbewerbern unterscheiden und in der massenhaften Vielfalt am POS oder im eCommerce wahrgenommen werden? Dr.-Ing. Joachim Klimeck (Associate Director R&D Packaging Discipline bei Procter & Gamble) nahm die Kongressteilnehmer in seinem Vortrag mit auf eine Reise in die ganzheitliche, relevante und effektive Verpackungsentwicklung. Zutaten, ohne die es nicht geht, sind für Klimeck Authentizität, Kommunikation des funktionalen und emotionalen Werts, Beachtung des Kontextes im Regal, Funktionalität, Erweiterbarkeit über Formen und Materialien, Iconic Assets, Sicherheit, Nachhaltigkeit und die Verfolgung der großen Idee bis ins kleinste Detail.
Dr. Wolfgang Dirk (Product Manager Parenteral & Business Development bei der Gerresheimer AG) gab im Folgenden einen spannenden Einblick in die Primärmaterial-findung für neue Medikamente in der parenteralen Anwendung. Gerade wenn die Medikamente injiziert werden, ist die Primärverpackung in Dirks Verständnis Teil des Medikaments. In dem Maße, wie die Wirkstoffe selektiver und wirksamer würden, steige auch die Anforderung an die Verpackung, insbesondere im Bereich Sicherheit und Ausschluss von Fehlfunktionen. Für Wolfgang Dirk geht der Trend nach Abwägung aller Vor- und Nachteile vom Glas hin zu Kunststoff als das bevorzugte Primärpackmittel.
Wie die Verpackung neue Produkte schafft und Geschäftsmöglichkeiten eröffnet, zeigte Martin N. Sluk (Gründer und CEO, frizle AG) gemeinsam mit Thomas Reissig (Geschäftsführer VerDeSoft GmbH). Nachvollziehbar und gut dokumentiert präsentierten sie einen gelungenen Weg von der Idee hin zum erfolgreichen Produkt, der so nur über die Verpackung führen konnte. Am Ende des Weges steht eine Portionsverpackung für frischen Spätzleteig, die gleichzeitig die Funktion einer Spätzlepresse übernimmt und als innovatives Produkt im Kühlregal selbst schwäbische Hausfrauen überzeugt.
Digital Business. Disruption. Entmaterialisierung.
Haben Sie auch das Gefühl, dass heute alles anders und vor allem viel schnelllebiger als früher ist? Und denken Sie dann: Wie peinlich, haben das meine Eltern damals zu ihrer Zeit nicht auch gesagt? Und: Bin ich langsam selbst zu alt? Die beruhigend beunruhigende Antwort auf diese Einleitung gab Karel J. Golta (Managing Director, Indeed Innovation GmbH). Denn mit Alter hat das Gefühl weniger zu tun. Eher schon mit der Wirklichkeit, die uns durch eine exponentielle Geschwindigkeit in der Technologieentwicklung extrem fordert und beeinflusst. Gerade die Verpackung kann für Golta diesen Wandel mitgehen und nutzen. Sie sei der »missing link« und das entscheidende Verbindungsglied zwischen der fassbaren Welt am POS und den Erwartungen und Devices der Digital Natives. »Es geht nicht um die naheliegenden Anwendungsbereiche. Die sind nur der Schneeball auf der Spitze des Eisberges. Der Schatz im Verborgenen, das ist der echte Mehrwert«, so Golta, der seine Thesen mit praktischen Beispielen aus den Bereichen Pharma und FMCG hinterlegte.
Stefan Krantz (Leiter Logistik Service, Hermes Fulfilment GmbH) zeigte im Anschluss aus Sicht von Logistik und Transport, wie und wo das Digital Business die Verpackung verändert. Für Krantz werden die Verpackungsentwicklung und die damit verbundenen Verpackungsanforderungen durch zunehmende Marktanteile im digitalen Handel immer stärker in den Fokus rücken. Besonders im Multichannel-Handel brauche es intelligente Lösungen, die nicht nur ansprechend, sondern auch effizient seien und das positive Einkaufserlebnis beim Kunden unterstützen. Den steigenden Verpackungsmengen durch steigende Absätze im Distanzhandel könne man mit einer entsprechenden Strategie wirksam begegnen.
»Wenn wir bei der digitalen Transformation nur über neue Technologien reden, kratzen wir lediglich an der Oberfläche und verstehen nicht wirklich, was da gerade abgeht.« Eine Sicht, die etwas tiefer zum Kern und Wesen der Entwicklung vordringt, präsentierte Franciska Bárdos (eBusiness-Beraterin, IconParc GmbH). Sie zeigte am Beispiel der Geschichte unserer Informationsträger von der Steintafel mit Keilschrift über das Papier und die DVD bis hin zur Cloud und der digitalen Quantenverschränkung, wie sehr sich Informationsträger entmaterialisiert haben – und dadurch auch eine zunehmende Kommunikationsvernetzung ermöglichten. Nach ihrer Ansicht werden starre Strukturen aussterben, dynamische dagegen überleben. Genau wie der Anpassungsfähigste, der im digitalen Darwinismus dem Stärksten oder Intelligentesten überlegen ist. »Wenn alles mit allem vernetzt ist, wenn Ihre Lieferanten durch digitale Prozesse in Ihr Unternehmen eingebunden sind, wenn in der Fertigung alle Bereiche mit allem vernetzt sind und die Produkte mit den Maschinen kommunizieren und umgekehrt: Was passiert dann? Am Ende des Tages werden wir zu einer einzigen großen Weltmaschine verschmelzen. Diese Weltmaschine wird kommen. Jetzt ist die Zeit, in der man sich die Anteile an dieser Weltmaschine sichern kann.«
Zeitalter der Künstler
Von den kreativen Disziplinen lernen, um wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderungen besser bewältigen zu können – das stand im Mittelpunkt des abschließenden Vortrags von Dirk Dobiéy (Gründer und Geschäftsführer, Age of Artists GmbH). Für Dobiéy führen die großen, globalen Entwicklungen einerseits und die daraus resultierenden Anforderungen andererseits zu mehr Komplexität, Dynamik und Unsicherheit für die Unternehmen und die Menschen darin. »Wo aber gesicherte Informationen fehlen, reicht es nicht mehr aus, linear und rational vorzugehen. Wir müssen andere Fähigkeiten stärker ausbilden: Wahrnehmungsvermögen, Reflexionsfähigkeit, Kreativität und Bühnenpräsenz, Umgang mit Unplanbarkeit und Ambiguität – alles Fähigkeiten, die im Künstlerischen zu Hause sind.« Man könne nicht mit »mehr vom Gleichen« auf die vielfältigen Herausforderungen und Anforderungen reagieren. Noch mehr Meetings, noch mehr MINT-Studienplätze oder noch mehr lineares Planen bieten für Dobiéy keine Antworten. Wege fänden sich stattdessen in nichtlinearen Prozessen mit wiederkehrenden Mustern, die Suchen, Reflektieren, Ausführen und Gestalten beinhalten und zwar klare Strukturen und Regeln aufweisen, aber auch rollenbasierte, wechselnde Hierarchien. »Wir verhandeln Innovationen immer in den Schnittstellen und nicht mehr nur auf einem Gebiet. Das ist eine Herausforderung.«
Fazit und Impressionen
Für Winfried Batzke hat der Kongress erneut gezeigt, dass es sich lohnt, wichtige Trends und neue Situationen im Netzwerk zu thematisieren. »Ob wir die Inhalte der Kongressvorträge nehmen oder den Workshop zum Thema ›Digitale Transformation im Vertrieb‹, den wir am folgenden Tag angeboten haben: Das Interesse und der Zuspruch waren gleichermaßen gross. Als Verpackungsinstitut wollen wir Informationen und Impulse liefern, die Akteure miteinander vernetzen und etwas in Gang setzen. Das ist uns gelungen. Und die Themen werden nicht ausgehen. Ich lade alle Verantwortlichen ein, beim nächsten Verpackungskongress im März 2017 dabei zu sein.« (Fotos: dvi)